Analyse der Radfahrer-Pkw-Kollision. Im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer (UDV).

Author(s)
Hamacher, M. Kühn, M. & Hummel, T.
Year
Abstract

Während beim Fußgängerschutz sowohl auf gesetzlicher Seite als auch auf Seiten des Verbraucherschutzes (Euro NCAP) jeweils spezifische Prüfanforderungen zur Bewertung des Schutzpotentials von Fahrzeugfronten existieren, sind entsprechende Vorgaben hinsichtlich der Sicherheit von Fahrradfahrern bislang nicht definiert. Aktuelle Unfalldaten zeigen jedoch die hohe Relevanz von Radfahrerunfällen, welche hinsichtlich der Zahl der Verletzten deutlich über dem Anteil der verunglückten Fußgänger liegen. So wurden in Deutschland bei Straßenverkehrsunfällen im Jahre 2012 13.854 Fahrradfahrer schwer und 60.516 leicht verletzt. Bei den Fußgängern lag die Zahl der Leichtverletzten bei 23.348 und die der Schwerverletzten bei 7.962, wobei hier die Zahl der tödlich Verunglückten mit 520 gegenüber 406 getöteten Radfahrern etwas höher ausfällt. Während für die Gruppe der Fußgänger die Zahl der Getöteten von 2011 auf 2012 abgenommen hat, ist die Zahl der getöteten Radfahrer leicht gestiegen. In Europa kamen im Jahr 2009 in den EU-15 Staaten zuzüglich Polen, Rumänien, Slowenien, Tschechien und Ungarn insgesamt 2.196 Radfahrer ums Leben, was 6,7% der Gesamtunfalltoten entspricht. Allerdings ist der Anteil der Radfahrer an der Zahl der insgesamt getöteten Verkehrsteilnehmer stark länderspezifisch und kann in einigen Ländern deutlich höher ausfallen. In den Niederlanden liegt dieser beispielsweise bei 21% (2009), sodass hier das Thema Radfahrerschutz einen besonders hohen Stellenwert besitzt. Auch wenn die absoluten Werte rückläufig sind und die Zahl der getöteten Radfahrer in den zwanzig betrachteten europäischen Staaten zwischen 2001 und 2009 um 32% gesunken ist, so besteht weiterhin Handlungsbedarf. Gerade das durch die EU-Kommission im Jahr 2010 im Rahmen des „4th Road Safety Action Programme“ ausgegebene Ziel einer nochmaligen Halbierung der Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2020 erfordert auch Maßnahmen zur Verbesserung der Radfahrersicherheit. Von den im Jahr 2012 in Deutschland insgesamt 74.961 Fahrradunfällen mit Personenschaden waren 16,9% Alleinunfälle (Abb. 1-1). Bei 79,9% gab es nur einen weiteren Unfallbeteiligten (59.897) und bei 3,2% dieser Unfälle waren mindestens zwei weitere Verkehrsteilnehmer involviert. Der häufigste Unfallgegner war dabei ein Pkw (74%). In 8,3% der Fälle war ein weiterer Radfahrer und bei 6,3% ein Fußgänger der Unfallgegner. Insgesamt galten 41,5% aller unfallbeteiligten Radfahrer als Hauptverursacher ihres Unfalls. Bei Unfällen mit einem Pkw war der Radfahrer aber nur zu 24,9% und bei Unfällen mit Güterkraftfahrzeugen nur zu 18,9% der Hauptverursacher des Unfalls. Trotz der hohen Relevanz von Pkw-Radfahrerunfällen ist, im Gegensatz zu infrastrukturellen und verkehrserzieherischen Maßnahmen zur Radfahrersicherheit, ein fahrzeugseitiger Radfahrerschutz bislang kaum ausgeprägt. Als Grund ist hier in erster Linie das Fehlen eines radfahrerspezifischen Prüfverfahrens zur Bewertung des Schutzpotentials von Pkw-Frontflächen zu nennen. Die Implementierung einer entsprechenden Prüfvorschrift in der Gesetzgebung würde die Schaffung von Mindeststandards zum Radfahrerschutz ermöglichen und so zu einer Verbesserung der allgemeinen Verkehrssicherheit beitragen. Gleichzeitig würde dies auch auf Seiten des Verbraucherschutzes die Notwendigkeit zur Einführung von Tests zur Radfahrersicherheit erhöhen. Durch die in der Regel verschärften Anforderungen der Verbraucherschutztests könnte in diesem Falle das Schutzpotential der fahrzeugseitigen Maßnahmen nochmals gesteigert werden. Derzeit ist die Einführung solcher Prüfungen im Rahmen von Euro NCAP nicht vorgesehen. Die im vorherigen Forschungsprojekt „Fußgängerschutz am Kraftfahrzeug“ erarbeitete integrierte Methodik zur Bewertung von Fahrzeugfronten bei Pkw-Fußgänger-Kollisionen wird im Rahmen dieses Projektes weiterentwickelt und in diesem Zuge um den Aufprall von Radfahrern erweitert. Ziel ist es, auch für Radfahrer Schutzmaßnahmen der passiven und aktiven Sicherheit fahrzeugspezifisch auf einer gemeinsamen Skala bewerten und jeweils mit dem Verletzungsrisiko für Fußgänger vergleichen zu können. Dabei soll das Verfahren nachwievor eine versuchsunabhängige und automatisierte Bewertung ermöglichen, die seitens des Anwenders allein die Euro NCAP-Fußgängerschutzdaten des Fahrzeuges erfordert. Den Ausgangspunkt bildet zunächst eine vertiefende Analyse des Pkw-Radfahrer-Unfallgeschehens sowie ein Überblick über aktuelle Entwicklungen im Bereich der Radfahrersicherheit (Kapitel 2). Die Grundlage zur Erarbeitung der Radfahrerbewertungsmethodik bilden umfangreiche Simulationen von Pkw-Radfahrer-Kollisionen mit verschiedenen Fahrzeugfrontgeometrien aus insgesamt sechs Fahrzeugklassen und unter Berücksichtigung von vier Kollisionsgeschwindigkeiten (Kapitel 3). Die Simulationen dienen der detaillierten Ermittlung der Unfallkinematik für die im Rahmen der Unfallanalysen mit Hinblick auf das Bewertungsverfahren festgelegten relevanten Anstoßkonstellationen. Zudem werden im Rahmen zweier Simulationsstudien die Themen Pedelecs und Sekundäraufprall näher untersucht. Die im Zuge der Weiterentwicklung des Bewertungsverfahrens bzw. der zugrunde liegenden Indexberechnung vorgenommenen Anpassungen sind Inhalt von Kapitel 4. Dies umfasst auch die hierzu durchgeführten Kopfimpaktorversuchsreihen im Hauben- und Windschutzscheibenbereich eines Versuchsfahrzeuges. Durch Bewertung verschiedener Schutzmaßnahmen für jeweils einen aktuellen Vertreter jeder Fahrzeugklasse werden sowohl für Radfahrer als auch Fußgänger die fahrzeugklassenübergreifende Anwendbarkeit des Verfahrens sowie die Plausibilität der entsprechenden Indexwerte geprüft. Abschließend beschreibt Kapitel 5 die Ergebnisse der zur weiteren Untersuchung der Radfahrerkinematik sowie des Einflusses einer reduzierten Kollisionsgeschwindigkeit auf die Radfahrersicherheit durchgeführten Full-Scale-Tests. Hierbei handelt es sich um drei Realversuche mit Fahrzeuggeschwindigkeiten von 40, 30 und 20 km/h bei gleichzeitig bewegtem Radfahrer, welcher durch einen auf einem realen Fahrrad platzierten Polar-II Dummy abgebildet wird. Die Versuche ermöglichen neben einem Abgleich mit den Simulationsergebnissen auch eine nähere Untersuchung des Sekundäraufpralls. Parallel zur Entwicklung eines Radfahrerschutzbewertungsverfahrens innerhalb dieses Projektes wurde im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ein weiteres Forschungsprojekt zum Themengebiet Radfahrersicherheit durchgeführt. Hier ist basierend auf den bestehenden gesetzlichen Prüfanforderungen zum Fußgängerschutz ein Prüfverfahren zur Bewertung des Schutzpotentials von Fahrzeugfronten bei einer Kollision mit Fahrradfahrern entwickelt worden. Sowohl in der Gesetzgebung als auch beim Verbraucherschutz erfolgt die Bewertung des fahrzeugseitigen Fußgängerschutzes durch Verwendung von Subsystemen für Kopf, Hüfte bzw. Oberschenkel und Bein. Den Fokus des BASt-Projekts bildet die Übertragung dieser Komponenten- bzw. Impaktortests auf die Gegebenheiten bei Radfahrer-Pkw-Kollisionen. Dies umfasst die Definition geeigneter Prüfrandbedingungen sowie die Erstellung einer praxisgerechten Prüfvorschrift, welche die Bewertung des Radfahrerschutzpotentials von Pkw-Frontflächen bzw. Maßnahmen der passiven Sicherheit anhand von Komponententests ermöglichen soll. In beiden Projekten erfolgten ein Austausch der gewonnenen Erkenntnisse sowie eine Nutzung von Synergien in den Bereichen Unfallanalyse und Simulation. (Author/publisher)

Publication

Library number
20160932 ST [electronic version only]
Source

Berlin, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV, 2016, 178 p., 41 ref.; Forschungsbericht ; Nr. 36 - ISBN 978-3-939163-64-0

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