Sicher mobil mit Handicap : Vertrauliche Fahreignungsüberprüfung im Vorfeld der Behörde.

Auteur(s)
Grünseis-Pacher, E. Bachmaier, C. Grünseis, D. & Moinard-Pacher, F.
Jaar
Samenvatting

Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Multiple Sklerose, Parkinson, … Jedes Jahr erleiden mindestens 40.000 Österreicher eine dieser "Erkrankungen". Nach Wiedererlernen grundlegender Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags steht an erster Stelle der Wunsch, wieder selbst am Steuer eines Fahrzeuges zu sitzen. Wie bereits in der Studie „Forschungsbericht aus dem Verkehrswesen“ dargestellt, führen medizinische Akutereignisse häufig zu physischen und/oder psychischen Defiziten, welche die Fähigkeit, selbst ein Fahrzeug zu lenken, sehr häufig einschränken. Vor allem nach/mit neurologischen Erkrankungen sind sich Patienten meist nicht der Eigenverantwortlichkeit bewusst, die ihnen in Bezug auf die Validierung ihrer Fahrfähigkeit obliegt. In diesem Fall beruht das österreichische Gesetz derzeit nämlich auf dem Prinzip genau dieser Eigenverantwortlichkeit: Nach Auftreten einer körperlichen und/oder psychischen Einschränkung sollen Führerscheinbesitzer diese Veränderung der zuständigen Behörde mitteilen, damit ihnen im Falle einer Polizeikontrolle oder eines Unfalls weder rechtliche noch versicherungstechnische Nachteile entstehen können. Aus Angst vor der Führerscheinabnahme wird dieser Meldeempfehlung gegenüber der Behörde jedoch kaum nachgekommen. Um Personen mit gesundheitlichen Defiziten nach Möglichkeit wieder zu sicherer aktiver Mobilität im Straßenverkehr zu verhelfen, rief die CLUB MOBIL-Gründerin Edith GrünseisPacher in Zusammenarbeit mit anerkannten Spezialisten im Bereich der Verkehrspsychologie (FACTUM, INFAR Wien und SCHUHFRIED GmbH) und der Fahrsicherheit (ÖAMTC, ÖAMTC Fahrtechnik, Dachverband der Fahrschulen) das innovative Projekt SICHER MOBIL MIT HANDICAP ins Leben. Dabei handelt es sich um ein völlig neues Konzept basierend auf absoluter Vertraulichkeit der Ergebnisse. Da so wie in der Pilotstudie auch im Rahmen der Folgestudie die Resultate nicht an die zuständigen Behörden weitergeleitet werden mussten, wurde den Teilnehmern die Angst vor dem Behördenweg genommen und zugleich an das Verantwortungsbewusstsein der Betroffenen appelliert. Probanden, deren Fahreignung im Projekt bestätigt wurde, konnten sich jedoch im Hinblick auf eine Validierung ihrer Lenkberechtigung mit den Ergebnissen an die Führerscheinbehörde wenden. Das Testverfahren überprüfte in beiden Projekten folgende Bereiche: Seh- und Hörstärke, Verkehrspsychologische Leistungsfunktionen (Reaktion, Konzentration, …), für die Teilnahme am Straßenverkehr grundlegende Fähigkeiten, Feststellung der zum Ausgleich körperlicher Einschränkungen notwendigen Fahrhilfen und Fahrverhalten in Echtsituation. Eine wesentliche Neuerung im Vergleich zu herkömmlichen Testmethoden bestand bei SICHER MOBIL MIT HANDICAP darin, dass die verkehrspsychologischen Testverfahren an die motorischen Defizite der Probanden angepasst waren. Außerdem wurden die Fahrtests nicht an einem Simulator durchgeführt sondern im täglichen Straßenverkehr mit einem den jeweiligen Behinderungen angepassten Fahrschulfahrzeug. Dies trug zusätzlich dazu bei, angemessene Testbedingungen für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen herzustellen. Im Pilotprojekt von Mai 2007 bis Mai 2009 wurde bei 208 Personen eine vertrauliche Abklärung der Fahrfähigkeit trotz gesundheitlicher Einschränkungen (vor allem auf Grund von neurologischen Akutereignissen) im Vorfeld der Behörde durchgeführt. Die Ergebnisse der beiden Studien brachten sehr aufschlussreiche, zum Teil jedoch auch besorgniserregende Erkenntnisse. Eine positive Auswirkung im Bereich „Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr“ zeichnete sich bereits gleich nach Beendigung des Projektes ab: Nahmen vor der vertraulichen Begutachtung 69,1 % aller Probanden mit negativem Testergebnis trotz unzureichender Fahrtauglichkeit aktiv am Straßenverkehr teil, so waren dies im Anschluss an die Überprüfung nur mehr etwa 5,7 %. Dies lag daran, dass 93,5 % der nicht fahrfähigen Personen vor der Teilnahme an SICHER MOBIL MIT HANDICAP der Meinung waren, nach Änderung der gesundheitlichen Verfassung noch immer die notwendigen Voraussetzungen für eine aktive Straßenverkehrsteilnahme zu besitzen. Aus diesem Grund sowie auf Grund der regen Nachfrage betroffener Personen konnten von Jänner 2010 bis Februar 2012 weitere 250 Probanden mit neurologischen Defiziten in einem von Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), ÖAMTC und SCHUHFRIED GmbH unterstützten Folgeprojekt getestet werden. Die Überprüfung fand an 30 Terminen in den ÖAMTC-Fahrsicherheitszentren Teesdorf und Marchtrenk statt und betraf die Führerscheinklasse 1, PKW. Aus den Ergebnissen dieser Forschungsprojekte lässt sich zusammenfassend festhalten, dass 72,1 % der Probanden in der verkehrspsychologischen Testung gravierende Schwächen aufwiesen, die ohne Fahrverhaltensbeobachtung zu einer Ablehnung geführt hätten. Die Fahrprobe führte in 58,6 % der Fälle zu dem Schluss, dass eine Eignung - zumindest mit Einschränkungen - dennoch gegeben war und nur in etwa 4 % kam es vor, dass die Testung der Leistungsfunktionen positiv verlief, dagegen die Fahrprobe zu dem Schluss führte, dass die Fahreignung nicht gegeben war. Das heißt: Sowohl im Pilot- als auch im Folgeprojekt wurde das Hauptaugenmerk auf die praktische Fahrprobe gelegt. Auch wenn die Überprüfung der Leistungsfunktionen negativ ausfiel, absolvierten die Probanden eine standardisierte Fahrprobe, welche von Fahrlehrern und Verkehrspsychologen dokumentiert und bewertet wurde. Konnte ein Teilnehmer bei der etwa 30-minütigen Fahrt zeigen, dass er die hohen Anforderungen des Straßenverkehrs ohne weiteres erfüllen kann, bestätigten ihm die Experten (trotz negativem VPU-Ergebnis) eine gegebene oder eingeschränkte Fahrtauglichkeit. Im Gegensatz dazu wurde Klienten mit positiven Leistungsfunktionen nach einer nicht zufriedenstellenden Fahrprobe eine negative Fahreignung bescheinigt. Wie die Regressionsanalysen zur Prognose der Gesamtbeurteilung zeigen, liefert die Beurteilung des Fahrverhaltens aus der Fahrprobe den größten Erklärungsbeitrag zur Gesamtbeurteilung. Daraus lässt sich ableiten, dass bei dieser Klientengruppe vor allem eine Fahrverhaltensbeobachtung in einem adaptierten Fahrzeug sowie eine intensive Beratung eine faire und valide Eignungsbeurteilung unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit ermöglichen. Um eine kosten- und zeiteffiziente Weiterführung des aus der Rehabilitation nicht mehr wegzudenkenden Projektes zu gewährleisten, ist von der Projektgründerin Edith GrünseisPacher angedacht, eine zusätzliche Absicherung der Resultate durch eine verkehrspsychologische Überprüfung zu unterlassen, sofern die Ergebnisse auch nach dieser Abänderung des Testumfangs von den Verkehrsabteilungen anerkannt werden. Eine derartige Vereinfachung des Überprüfungsverfahrens ist dadurch gerechtfertigt, dass sich die entscheidenden Ergebnisse über die Fahrtauglichkeit eines Probanden mindestens genauso aus den Fahrproben ergeben. Die verkehrspsychologische Stellungnahme betreffend der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen stellt auch bei einem behördlichen Verfahren für den Amtsarzt, welcher Gutachter im Führerscheinverfahren ist, lediglich einen Hilfsbefund dar; der Arzt ist nicht an das Ergebnis einer verkehrspsychologischen Stellungnahme gebunden. (Author/publisher)

Publicatie

Bibliotheeknummer
20160696 ST [electronic version only]
Uitgave

Wien, Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie BMVIT, 2012, 67 p., 57 ref.; Forschungsarbeiten des österreichischen Verkehrssicherheitsfonds ; Band 012

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